Let's dance mit Dr. Burger

Wie ein Weltmeister Königsteiner Schülern das Tanzen beibringt

Es ist fast 60 Jahre her, dass der Film „Der Pauker“ mit Heinz Rühmann in der Titelrolle in die deutschen Kinos kam. Lehrer wie der Oberschulrat Dr. Hermann Seidel, der aus der Provinz in die Großstadt versetzt wird und sich vom selbstgefälligen Pädagogen zum „Pauker“ mausert, hat die Welt in der Zwischenzeit – sagen wir – zumindest nicht so oft gesehen.

Aber es gibt sie. Zum Beispiel in Hofheim. Dort lebt der siebenfache Tanzweltmeister Dr. Hans-Jürgen Burger, den vor allem die tanzbegeisterten Zeitgenossen zuletzt als Moderator des Lions-Balls im Mai dieses Jahres und im Dezember 2016 als Turnierleiter und Moderator des Lichterballs des TC Metropol Hofheim erlebt haben, seit inzwischen 24 Jahren. Kein Wunder: Er fühlt sich in der Kreisstadt wohl und ist gemeinsam mit Ehefrau Ulrike mit dem Tanzsportclub freundschaftlich verbunden.

Ideal: Seinen zweiten Lebensmittelpunkt hat der Pädagoge nur ein Paar Steinwürfe weit den Berg hinauf in Königstein. An der dortigen Bischof-Neumann-Schule, die – nomen est omen – für ihre christlich-humanistische Ausprägung samt Latein als erste Fremdsprache bekannt ist. Was aber keineswegs bedeutet, dass die rund 800 Schülerinnen und Schüler, von denen viele aus dem Main-Taunus-Kreis kommen, stets mit gesenkten Häuptern in die Klassenräume trotten. Schon gar nicht, wenn Dr. Hans-Jürgen Burger im Wiegeschritt über den Pausenhof Richtung Sporthalle swingt. Dann ist das Gefühl vom Pauker und seinen Pennälern aus den späten Fünfzigern greifbar nahe.

Sport und Erdkunde

Gleichgültig, ob die 17-jährige Pia, die 15-jährige Theresa, die beiden 18-jährigen Lutz und Julius oder Leonhard (12) und dessen elfjährige Schwester Franziska. Die Antwort auf die Frage „Warum tanzt ihr?“ lautet: „Dr. Burger!“. Und dabei zeigt allein das „Dr. Burger“ – nicht einfach „der Burger“ oder am Ende gar „der Burgi“ –, wie sehr der Erfolg des Erdkunde- und Sportlehrers, dem seine Hofheimer Schüler auch hin und wieder mal beim Wandern auf dem Panoramaweg in Langenhain oder beim Joggen auf dem Hochfeld begegnen, auch von dem, was leider viel zu oft missverstanden wird, nämlich Respekt, geprägt ist.

Natürlich: Seine Titel – zu den sieben WM-Titeln, die er gemeinsam mit Ehefrau Ulrike bis zum gemeinsamen Laufbahnende im Jahr 2000 ertanzte, zählen unter anderem auch zehn Deutsche Meisterschaften – kann er bei seinen Schülern natürlich in die Waagschale werfen. „Sie schaden nicht, und auch wenn ich selbst so gut wie nie darüber rede, spricht es sich doch herum!“, sagt der 58-Jährige wohl wissend, dass Titel allein wenig ausrichten können. Anderes ist ebenso wichtig: „Tanzen ist seit 1976 offizielle Schulsportart, aber nicht an jeder Schule wird dem Tanzen so viel Freiraum gegeben wie hier an der BNS“, unterstreicht der Schulsportbeauftragte für Hessen und die ganze Republik (seit 2004), der selbst mit seiner Ehefrau Ulrike beim Schulsportwettbewerb „Jugend trainiert für Olympia“ vor 41 Jahren zum Tanzen fand.

Nötiger Freiraum

Ganz wichtig bei allem: die Unterstützung durch die Schulleitung, den Förderverein und den Verein der Ehemaligen. Burger: „Aber auch der Schulelternbeirat, die Eltern und natürlich die Kolleginnen und Kollegen sorgen für den hohen Stellenwert und den nötigen Freiraum, den das Tanzen heute auch an der BNS genießt.“

Gedankt wird dem leidenschaftlichen Tänzer und Lehrer das jahrelange Engagement durch eben jene Rolle des hochgeachteten und beliebten Paukers, die ihm seine fast 200 tanzenden Schülerinnen und Schüler ebenso wie alle anderen nur zu gerne verliehen haben. Und natürlich wunderbare Erfolge und Erlebnisse. Vom Hessenmeistertitel zu Beginn des Sommers beim Landesentscheid „Jugend trainiert für Olympia“ über die Schüler, die vor wenigen Wochen im Grundkurs Tanzen ihre Abi-Prüfungen abgelegt haben bis zu den BNS-Schülerinnen, die beim Wiener Opernball als Debütantinnen dabei waren. „Tolle Momente“, lächelt der Leiter. Ganz abgesehen von den strahlenden Gesichtern, mit denen seine Tänzerinnen und Tänzer jeden kleinen erfolgreichen Schritt beim Einstudieren von Cha-Cha-Cha, Rumba oder Langsamem Walzer quittieren oder der Pirouette, die eine Schülerin dreht, als sie Dr. Burger hinter der Scheibe der Mensa sitzen sieht.

An diesem Gesamtbild können auch die wenigen Schüler, die am Eingang der Sporthalle feixen, als drinnen 13 Paare mal eben so in der zweiten Pause für den Fotografen einen flotten Jive aufs Parkett legen, nichts ändern. „Manche Jungs schauen immer wieder rein und albern dann herum. Ihre Stellung in der Klasse lässt es vielleicht nicht zu, mitzumachen, aber irgendwann weiß jeder: Wer tanzen kann, ist klar im Vorteil“, grinst der Pauker und erinnert wieder an Heinz Rühmann, der im Film mit seinem Haufen sogar ein altes Auto wieder flottmacht.

So weit muss der Lehrer, der seit Sommer 1990 in Königstein ist und mit ihm der Tanzsport, nicht gehen. „Auch wenn Tanzen zwischendurch nicht mehr den Stellenwert besaß wie in den 70ern oder 80ern, wo fast jeder noch in die Tanzstunde ging, ist Rhythmik und Bewegung gefragt wie eh und je“, verweist Dr. Burger auf die Spielräume, die etwa fünf jahrgangsübergreifende Freestyle-Formationen lassen. Ob Let’s Dance und Co. dem Tanzsport neuen Schwung gegeben haben? „Messen lässt sich das nicht, aber geschadet hat es sicher auch nicht“, urteilt der Pädagoge, der mit „Let’s Dance“-Juror Joachim Llambi nicht tauschen möchte. Dann schon lieber Schule.

Noch mal Film. Diesmal mehr Amerika: Würde sich der Sportlehrer zutrauen, auch an einer Brennpunktschule erfolgreich arbeiten zu können, wie so gerne in US-amerikanischen Streifen tränenreich dargestellt? „Aber klar. Die Inhalte müssten anders sein als hier. Aber es würde gehen“, ist sich der Pauker sicher: „Tanzen verändert auch die Atmosphäre.“

 

aus: Frankfurter Neue Presse