Vortrag von Prof. Dr. Kaiser

Hate speech und liberale Demokratie

Zum Auftakt ihres Wochenendes hatte der Ehemaligenverein der Bischof-Neumann-Schule Herrn Prof. Dr. Kaiser zu einem Vortrag in der Bühnenhalle eingeladen.
Der Vortrag zentrierte sich um die virulente Frage, wie sich die Prinzipien liberaler Gesellschaften mit dem Phänomen medialer Hasskampagnen vertragen. Wie weit sind Hassreden durch Toleranz und Meinungsfreiheit als hohe Güter liberaler Gesellschaften von gedeckt?
Prof. Kaiser entrollte ein reichhaltiges Tableau möglicher Analysen und Antwortversuche. Drei Aspekte lassen sich hervorheben:
1. Liberale Demokratien basieren auf einem Menschenbild, das maßgeblich durch die Aufklärung bestimmt ist. Die Autonomie des Subjekts im Sinne Kants bestimmt den politisch-rationalen Diskurs; politische Entscheidungen und Differenzen werden im Diskurs ausgetragen, bis sich ein allgemeiner Konsens herausstellt. Der mündige Staatsbürger schließt andere Bürger nicht wegen ihres Geschlechts, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Rasse usw. aus. Damit geht einher, dass autonome Subjekte Differenzen ertragen und sich konstruktiv damit auseinandersetzen können.
2. Extremistische politische oder religiöse Gruppen hingegen können Differenzerfahrung nicht integrieren. Sie spalten daher andere Gruppen, die nicht in ihr Schema passen, ab. Sie definieren vor dem Hintergrund ihrer rassistischen, sexistischen, völkischen oder religiösen Ideologien, wer dazu gehört und wer nicht. Die Maßnahmen gegen „den Anderen “reichen von Beschimpfung, Stigmatisierung bis hin zur Vertreibung und Vernichtung. Kaiser machte deutlich, dass diese radikalen Gruppen von der Idee geleitet sind, zu einem vermeintlich idyllischen Naturzustand zurückzukehren. Das Motiv der „Reinheit“ eines „Volkes“, einer universalen Glaubensgemeinschaft (Umma) treibt solche Bewegungen an. Sie formulieren ein „Unbehagen in der Kultur“ (Freud), das in massiver Zivilisationskritik einen Niederschlag findet.
3. Hate- Speech, Hassreden sind vor diesem Hintergrund die Konsequenz aus dem scheinbaren Verlust von Autonomie, der Unfähigkeit, Differenzen zu ertragen und einem monokausalen Weltbild. Mit den vermeintlichen Gegnern muss in dieser Sicht kein herrschaftsfreier Diskurs (Habermas/Apel) geführt werden, so dass alle auch sprachlichen Rücksichten und Tabus fallen gelassen werden. Dabei tut sich ein Widerspruch auf, denn einerseits genießen Hassredner den Schutz der Anonymität im Netz, andererseits erzeugt die Zustimmung von vielen Followern ein erhöhtes Selbstwertgefühl.
5. Die Konsequenzen aus dieser medialen Entwicklung für den Zusammenhalt liberaler Demokratien ist noch nicht absehbar. Kaiser plädierte in seinem Schlusswort für die Stärkung des Staatsbürgers und seiner Verantwortung, nicht zuletzt auch durch die Bildungs- und Aufklärungsarbeit der Bildungsinstitutionen.

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Information zum Foto (Fotograf: Vincent Ickstadt)
Dr. Susanne Nordhofen (Schulleiterin)
Jens Henninger (stellv. Schulleiter)
Matthias Apweiler (Ehemaligenverein)
Prof. Dr. Volker Kaiser
Lukas Reichl (Ehemaligenverein)
Tamme Emunds (Ehemaligenverein)
Nikolas Kaltenbach (Ehemaligenverein)
v.l.n.r.